Zeitungen sind in den letzten Jahren wirtschaftlich stark unter Druck geraten und waren gezwungen, sich neu zu erfinden oder unterzugehen. Die New York Times hat rechtzeitig eine Digitalstrategie entwickelt und umgesetzt, sodass bereits 2020 die digitalen Abo-Einnahmen die schwindenden Werbeeinnahmen kompensieren konnten. Ein diversifiziertes, an Lebensphasen orientiertes Abo-Portfolio war es nicht allein. Sie hat auch eine erstaunliche Kreativität für neue Formen digitalen und visuellen Storytellings entwickelt.

Das alles macht was mit uns und unseren digitalen Leseansprüchen. Wir freuen uns über den gelungen Parallax-Effekt beim Scrollen durch das Storytelling der Süddeutschen Zeitung, genießen Multimedia-Reportagen im Spiegel und den gut visualisierten Datenjournalismus des Handelsblatts. Online-Magazine wie Katapult und ihre Print-Ausgaben haben die sozialen Verhältnisse in unserer Republik auf das Faktische zurückgeführt und unterhaltsam visualisiert. Und das Genre der Comics wurde um Graphic Novels erweitert, die wesentlich ernsthafter Geschichten erzählen, als wir durch Marvel, Asterix und Co. bislang gewohnt waren und mittlerweile sogar für Buchpreise nominiert werden.

All das wird mit viel Schweiß erdacht, nicht weil es chic ist, sondern weil die Zahlen den Erfolg nachweisen. Die Wochenzeitung DIE ZEIT hat mit all diesen Format-Weiterentwicklungen die höchste Auflage ihrer gesamten Geschichte im Jahr 2023 erreicht und steht wirtschaftlich glänzend da.

Jedes Softwarehaus ist ein Medienhaus

Regelmäßig enttäuscht wird diese Leseerwartung im B2B-Bereich. Corporate Websites haben sich nur unwesentlich weiterentwickelt als in den Nullerjahren. Softwarehäuser, die für ihre Kunden disruptive Geschäftsmodelle in Code gießen, kleiden sich auf ihren Webseiten in gepflegte Langeweile. Wenn Content Manager zur Verfügung stehen, müssen die ihre ganze Kreativität dafür aufwenden, die komplexen IT-Themen in verständliche Whitepaper zu gießen. Wer hat da noch Zeit und Nerven für attraktive Gestaltung.

Dass Software immer weiter die Welt „frisst“, ist inzwischen gelernt und Konsens. Dass die Produktionsmittel, sprich: Druckerpressen, heute jeder zur Hand hat, ist in seiner ganzen Wucht noch nicht im B2B angekommen. Die Corporate Website ist dabei das zentrale Medium für die Eigendarstellung, wird aber von den wenigsten kreativ genutzt und vielfach nur als dekoratives Schaufenster (miss)verstanden. Es muss doch mehr zu erzählen geben als Great Place to work, Girlsday und die letzte Success story?! Warum schreiben so viele Softwarehäuser „Innovation“ auf ihre Werteliste und zeigen dies nicht durch ein entsprechendes Storytelling auf ihrer Website?

„Wir wären gerne bekannter und wir möchten von den Entscheidern auf Kundenseite stärker wahrgenommen werden“ – diese Wünsche bzw. Klagen sind nachvollziehbar. Aber dann muss auch „Butter bei die Fische“ getan werden. Innovative Technologien für die Aktualisierung des Tech Stacks werden, ohne mit der Wimper zu zucken, angeschafft. Bei der Profilierung über innovatives Storytelling auf der eigenen Website wird gespart. Das offenbart die häufig zugrunde liegende Haltung „Wasch mich, aber mach mich nicht nass“.

Catch me if you can

Ingenieure sind abgehärtete Vielleser. Informatiker wollen immer zum Kern der Sache. Aber das Scrollen infiniter Worttapeten ist nicht sexy. Das Auge liest mit. Die digitale Leseforschung weiß einiges, wie Inhalte so transponiert werden können, dass sie besser wahrgenommen, leichter verstanden und länger behalten werden. Wo ich gerne lese, kehre ich wieder.

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