Für den eiligen Leser: Normalerweise schreibe ich hier über Kommunikation und Marketing für IT-Unternehmen. Heute geht es allerdings über Politik und Macht – ich muss meinem Herzen mal Luft machen. Also Triggerwarnung: ggf. jetzt besser nicht weiterlesen.

Klimawandel und der grüne Umbau der Wirtschaft sind nicht mehr so wichtig. Sagen die Topmanager deutscher Unternehmen, 750 davon hat die Unternehmensberatung Horvath befragt, berichtet das Handelsblatt. Für sie gehören die eigenen Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht mehr zu den 5 Top-Prioritäten. 2022 war das noch anders: da rangierte das grüne Thema unter den TOP 3. Das Handelsblatt zitiert Insider, die angesichts fehlender Greenpeace-Proteste empfehlen, bei den Umwelt-Themen mal einen Gang runterzuschalten.

Und das führt auch direkt zu Ergebnissen: Mercedes hat sich von seiner „Electric only“-Strategie verabschiedet. Ölkonzerne wie Shell, BP, Exxon investieren wieder mehr in fossile Projekte als in alternative Geschäftsmodelle. Amazon verschiebt sein Ziel der klimaneutralen Auslieferungen der Hälfte aller Lieferungen: von 2030 auf 2040. Reedereien wie Aida und Hapag-Lloyd wollten ihre Flotten ab 2040 klimaneutral betreiben. Jetzt ist das Ziel erst mal auf 2050 geschoben. Das wird erst der Anfang sein. Die Welle des Rollbacks wird noch weiter wachsen. Für den Shareholder Value nicht länger von Einfluss, also: skip it.

Es ist naiv, wenn wir unterstellen, dass die Wirtschaft inzwischen vollkommen eingesehen hat, dass ein Green Deal die Grundlage für Zukunft ist. Rational, vernünftig, lernbereit, kompromissbereit setzen wir die Dinge um, die für eine nachhaltige Zukunft nötig sind. Damit unterstellen wir in der Breite einen Homo oecologicus, den es so nicht gibt. Es musste viel Kreide gefressen werden. Man spielt auf Zeit. Die Katastrophen-Demenz tut ihr Übriges. Langes Gras. Und zack: Nehmen wir es mal langsam runter von der Prioritätenliste bzw. schieben es nach hinten.

Wir dürfen uns verabschieden vom vernünftigen Wirtschaftssubjekt und realisieren, dass die Übermacht der Eigeninteressen der Normalfall ist. Also ist es dann eher ein Hauen und Stechen, das eingehegt werden muss? Es gibt wirklich sehr viel Beispiele, in denen Freiwilligkeit gefordert wird, damit man nichts machen muss bzw. die alten Strukturen erhalten werden können. Wenn Freiwilligkeit also der Kaschierung des Status quo dient, wie kommen wir dann zur notwendigen grünen Transformation?

Sorry, ich bin sehr pessimistisch. Momentan erkenne ich eher, dass sich nichts ändert und dass es auch dabei bleiben wird. Es ist nicht-nachhaltig und so wird es auch weiter bleiben. Man könnte insofern von einer nachhaltigen Nicht-Nachhaltigkeit sprechen (s. a. Ingolfur Blühdorn).

Wenn momentan in Deutschland alle von einer Ampel-Koalition genervt sind, weil hier ständig gestritten wird – was hat man denn von einem Zusammenschluss dreier sehr unterschiedlicher Parteien sonst erwartet? Es war doch vollkommen klar, dass das ein Marathon-Boxkampf wird. Und das tut schon weh beim Zuschauen. Den Wählern sind dann die Kompromisse zu groß und die Ergebnisse zu gering. Was wird wohl passieren, wenn die Regierung im nächsten Jahr wechselt und mit den „Kapriolen“ der Ampel-Regierung erst Mal kräftig aufgeräumt werden muss? Der grüne Backlash-Tsunami baut sich gerade erst auf.

Bürger sind mit der Komplexität von Politik überfordert, der Staat ist nahezu unsteuerbar, Multikrisen lassen die Sorge um den eigenen Lebensstandard steigen, alternative Fakten verwirren Sinne. Zunehmend werden Informationen und Kommunikation nicht mehr zur Aufklärung verwendet, sondern durch das Vergraben in eigenen Positionen abgewehrt bzw. so integriert, dass keine kognitiven Dissonanzen entstehen.

Transformation: by disaster or by design? Muss erst mal wehtun. Bzw. tut auch schon weh: Im Zeitraum 2018-2020 sind in Deutschland 19.300 Menschen zusätzlich in Folge von Hitze gestorben. Städte in der Größe von Wolfratshausen, Nauen oder Bad Driburg – einfach alle tot. Alle zwei Jahre, Tendenz steigend.

Ja: Disaster. Und vermutlich tut‘s noch nicht genügend weh.

Weiterführend:

Handelsblatt vom 12.06.2024: Immer mehr Konzerne kappen Klimaziele – Was den Wandel bremst, von: Bert Fröndhoff, Kathrin Witsch, Franz Hubik, Isabelle Wermke, Anja Müller und Jens Koenen.

Umweltbundesamt (Hrsg.): Monitoringbericht 2023 zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel. Bericht der Interministeriellen Arbeitsgruppe Anpassungsstrategie der Bundesregierung. November 2023.

Ingolfur Blühdorn (Hrsg.): Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit: Warum die ökologische Transformation der Gesellschaft nicht stattfindet. 2. Aktualisierte Auflage 2020, transcript Verlag.

Bild: Unsplash, Bildbearbeitung: H.I.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert