Wenn wir von „Innovationen“ sprechen, dann denken wir an Tim Berners-Lee, den iPhone-Moment oder vielleicht in diesem Jahr an ChatGPT – alles technologische Innovationen. Sie haben die Kraft zur Disruption und durch die digitale Transformation lassen sich ganz neue Potentiale heben. Gleichzeitig verengen wir so unseren Blick, denn soziale Innovationen  gehen daneben ein bisschen unter. 

Wir hatten jetzt gerade unser 40jähriges Abi-Treffen an einem privaten bischöflichen Gymnasium. Ich fragte eine ehemalige Lehrerin, wie sich die Schule in den vergangenen Jahrzehnten verändert habe. Nach kurzem Nachdenken schüttelte sie bedauernd den Kopf und sagte: „Den UDo gibt es leider nicht mehr und um den haben uns doch die anderen Gymnasien beneidet!“ Der UDo war die Abkürzung für „Unser Donnerstag“, ein Treffen am Donnerstag Abend für Lehrer:innen und Schüler:innen der Oberstufe, die in einem Schulraum, der als Kneipe hergerichtet war, gemeinsam ein Bier trinken konnten. Es wurde in den 80er Jahren gut gepichelt, aber alles war unter Kontrolle und die Aufsichtspersonen achteten darauf, dass ein gewisser Pegel nicht überschritten wurde. Um 22 Uhr war eh Schluss.

Lehrer:innen anderer Schulen beneideten uns zu Recht: Der UDo war ein informelles Treffen jede Woche, wo man zeitnah Dinge besprechen konnte. Als Lehrer:in hatte man die Möglichkeit, mal einen Schüler anzusprechen, ohne ihn gleich in eine Sprechstunde einbestellen zu müssen. Oder es konnten informell Hinweise gegeben werden. Es waren viele Vorteile mit dem UDo verbunden und so manch einem von uns rettete dies den (Abi)Arsch. Umgekehrt konnte man auch mal auf eineN Lehrer:in zugehen und Hinweise zu sozialen Spannungen (mit anderen Lehrer:innen) geben. Vieles konnte so geräuschlos und gesichtswahrend hinter den Kulissen glattgezogen werden. Und als wir in die Oberstufe kamen, waren wir natürlich auch wahnsinnig stolz, dass wir jetzt mit unseren Lehrer:innen gemeinsam ein Bier trinken durften – wie cool war das denn?! Dem Selbstbewusstsein, dem Reifeprozess und dem schulischen Miteinander hat es gutgetan.

Das also war ein soziale Innovation, die wirkmächtig in unserem Schulleben gewesen ist. Und als die Schule mit den Jahren aus allen Nähten platzte und man zusätzlichen Raum benötigte, wurde die Bar zurückgebaut zu einem Klassenzimmer. Das Versprechen, dass man einen Ersatz schaffen würde, wurde nicht eingelöst. Ich bin mir ziemlich sicher, dass diese Innovation keinesfalls veraltet ist und heute auch noch (disruptiven) Charakter hätte. Tempi passati. Technologische Innovationen rückgängig zu machen, ist nahezu unmöglich – soziale schon. Wer Verantwortung trägt, sollte den Unterschied kennen und mit der nötigen Umsicht handeln.

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