Ich kann mich noch gut erinnern: Mein Chef und ich waren in Stuttgart und aßen zu Abend. Wir hatten gerade ein Meeting mit dem TÜV Süd hinter uns, in dem es um die Risikoanalyse unseres Hauptprodukts ging, einem Solarmodul. Der Innendienst hatte vermehrt über Ausfälle berichtet, vieles war noch unklar zu diesem Zeitpunkt. Statt Espresso schlug ich meinem Chef vor, direkt wieder ins Hotel zu fahren, um sofort die Krise aufzuarbeiten, bis dass wir endlich wieder Land sehen würden. Ich stellte mich als Krisenmanager zur Verfügung. Er grinste, bezahlte und es gab keinen Espresso mehr.

Die folgenden Monate gab es keine Wochenenden mehr. Zunächst einmal mussten die neuen Fälle dokumentiert, die Fakten geklärt, Kunststoff-Gutachten auf den Weg gebracht, die Risikoanalyse mit dem TÜV vorangetrieben werden und dazwischen immer wieder Besprechungen mit den Juristen. Und natürlich ging es auch um die Kommunikation: Wann müssen wir wem was wie sagen?

Unser ganzer Stolz war der gute Kontakt zu den Fachhändlern, die unsere Marke als Premium bewerteten aufgrund der Qualität. Insbesondere nutzten wir das im Marketing für die Abgrenzung zum asiatischen Wettbewerb. Wenn wir jetzt eingestehen müssten, dass wir Qualitätsmängel haben, dann würde das Wasser auf den Mühlen der Konkurrenz sein und unsere Fachhändler würden uns doch nichts mehr glauben. Unser Preispremium wäre dahin. Ich tat mich sehr schwer damit, überhaupt etwas sagen zu wollen.

In dieser Phase war die Zugehörigkeit unseres Unternehmens zu einem Konzern sehr hilfreich. Bis dato waren wir ein kleiner Mittelständler in der Solarindustrie, jetzt auf einmal gehörten wir zu einem globalen Technologieunternehmen, das sich seine Sporen in der Automobilindustrie als Zulieferer verdient hatte. Und genau das half uns jetzt: denn die Konzernkollegen hatten schon etliche Male Rückrufe und Ähnliches miterlebt und dabei die Erfahrung gemacht: je früher, desto besser. So ermunterten sie uns zügig die Schritte zur Aufklärung zu gehen und entsprechend auch parallel transparent zu kommunizieren. Immer noch mit einem mulmigen Gefühl tat ich dies.

Und so eine Kommunikation hat es in sich: Eine Argumentationslinie mit entsprechenden Statements unterschiedlicher Player muss entwickelt werden, Sprachregelungen verfassen, Briefe an die Fachhändler aufsetzen, Darksite einrichten (spezieller Bereich der Website bevor er live geschaltet wird), Ersatzteile organisiert werden, Tauschanleitungen in verschiedenen Sprachen verfassen, der Vertriebsinnendienst muss für Telefonate geschult werden, eine Hotline mit einem externen Dienstleister muss ebenfalls eingerichtet sowie geschult werden, Pressemitteilungen schreiben usw. usf. All dies geschah unter unglaublichem Zeitdruck und immer bei mir mit dem vagen Gefühl: Wenn wir das jetzt veröffentlichen, dann fliegt uns das Ganze vielleicht um die Ohren.  Dann passierte genau das Gegenteil: Unsere Kunden, die Fachhändler, waren erleichtert, dass wir frühzeitig informierten und gleich auch eine Servicelösung für den Austausch anboten. Sie waren viel härter im Nehmen und von anderen Herstellern ganz anderes gewohnt. Insofern wurde unser Agieren in der Krise als serviceorientiert, offen und fair beurteilt. Die Fachpresse schloss sich diesem Urteil an und so konnten wir aus dem eigentlichen Manko noch für unsere Kundenbeziehungen gewinnen. Auch wenn es mir sehr schwergefallen ist und mit viel Überwindung verbunden war: Das war der richtige Umgang mit der Krise.

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