Wann kann Marketing zur Zukunftssicherung des Softwareunternehmens beitragen? Je nachdem wie die Antwort ausfällt, kann man die Marketing-Abteilung abschaffen, aufteilen oder neu erfinden.

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Die warmen Zeiten in der Software-Branche neigen sich dem Ende entgegen, die „Großen“ fangen an, Software-Entwickler zu entlassen, einige meiner Kunden haben bereits einen Einstellungsstopp erlassen. Der Druck, Umsatz zu generieren und Kosten zu senken, nimmt wieder zu. Das Verhältnis von Angebot und Nachfrage kommt langsam ins Kippen.

Gerne schaut man dann auf die indirekten Bereiche und fragt nach ihrem Wertbeitrag. Wenn, so kann man doch hier optimieren? Das Marketing ist ein beliebter Kandidat. Gut – fangen wir doch radikal an und schaffen das Marketing ganz ab. Wann ist dies möglich und für welche Unternehmen eignet sich diese Rosskur? Mit welchen Konsequenzen?

In diesem Szenario wird das strategische Marketing vom Management übernommen und vermutlich auf das Einhalten eines Corporate Designs, die Aufrechterhaltung einer Identity, das Verfassen eines Reason Why und das Setzen von Leitplanken reduziert. Employer Branding ist allein Aufgabe von HR. Das operative Marketing wird durch Vorlagen optimiert, ggf. wird externe Expertise fallweise hinzugekauft. Ad-hoc anfallende Aufgaben werden von Assistenzen der Geschäftsführung übernommen.

Im Szenario eines eingesparten Marketings geht es rein um Effizienzsteigerung und Kosteneinsparung; ein strategischer Wertbeitrag wird nicht erwartet. Anfänglich muss in Automatisierung und Prozesse investiert werden. Ein hohes Maß an Eigenverantwortung und Weitblick wird vom Management erwartet, das die nötigen Adaptionen im Zeitverlauf leisten können muss. Geeignet ist dieses Modell für sehr auf Autonomie bedachte Unternehmen mit gut funktionierenden agilen Strukturen,  Start-ups und generell kleineren Unternehmen.

Im 2. Szenario wird das Marketing aufgeteilt. Softwarehäuser reagieren organisatorisch gerne so, wie sie es auch bei der Software-Entwicklung machen: sie modularisieren (altmodisch für Kapselung) bzw. containerisieren. Im Prinzip wird auf Autonomie gesetzt, um die Steuerbarkeit, Skalierung und Fehlerrückverfolgung zu erleichtern. In diesem Sinne gibt es auch ein Szenario, in dem das Marketing nicht abgeschafft, aber aufgeteilt wird. Die Lösung sieht dann häufig so aus, dass das Marketing auf die jeweiligen Bereiche verteilt wird. Dies entspricht auch dem lang protegierten Gedanken des Entrepreneurships, der Firma in der Firma.

Auch hier wird kein strategischer Wertbeitrag vom Marketing erwartet, operative Aufgaben dominieren. IT-Unternehmen, die schnell wachsen, neue Niederlassungen gründen, Wert auf Dezentralität legen, eventuell noch in andere Länder mit leicht differierenden Unternehmenskulturen expandieren, greifen auf dieses Modell zurück. Dieses Modell kommt mit dem Unternehmenswachstum an seine Grenzen, es gibt organisatorische Kipppunkte.

Was in der Entwicklung von Software viel Sinn macht, ist für die Gestaltung menschlicher Organisationen nicht unbedingt das Prinzip der Wahl. Eine Zeile Code ist eine Zeile Code, Menschen aber haben Stärken und Schwächen, sind selten Universalgenies und oft nicht in der Lage, alle Disziplinen gleichzeitig bestens zu erfüllen, geschweige denn gewillt. Gleiches gilt für den Vertrieb, zumal meine Erfahrung zeigt, dass viele Ingenieure nicht unbedingt eine Affinität zum Vertrieb haben, um es mal diplomatisch auszudrücken.

Marketing kommt in diesem Szenario zum Schluss hinzu: Das Softwareprodukt ist fertig und das Produkt oder die Dienstleistung muss in Szene gesetzt werden. Es steht am Ende einer Produktionskette für das Verbreiten von Botschaften, die künstlich um ein Produkt gestrickt werden. Bei Individualsoftware wird auf den allgemeinen Wertbeitrag abstrahiert und kann deshalb unisono in Botschaften wiederholt werden. Man fokussiert nicht auf das Produkt (denn das verkauft man im Prinzip nur ein Mal), sondern auf den Mehrwert für das Geschäftsmodell des Kunden, zu dem man durch die Individuallösung transformativ beiträgt. Generisches Marketing seitens der Bereiche ist hier die Gefahr, mit leichtem Hang zum redundant Statischen. Ein strategischer Wertbeitrag ist nicht zu erkennen, eher das Aufrechterhalten eines Status quo.

Szenario 1 und 2 ähneln sich im Verständnis von Marketing: Das ist etwas, was zum Schluss hinzukommt. Werbebotschaften werden um ein Produkt oder eine Dienstleistung drumherum gestrickt und müssen jetzt „nur noch“ in die Köpfe der Zielgruppe gebracht werden. Aber das Internet ist nicht einfach nur ein weiterer Touchpoint für die Plakatierung von Botschaften. Und das resultiert auch in einem veränderten Verhältnis der B2B-Unternehmen und ihrer Marke zu den Kunden.

Zwei Dinge machen den Unterschied: Es braucht keine Multiplikatoren mehr, um in Kontakt mit den Kunden zu kommen. Die Denkweise „Unser Marketing hat eine tolle Werbekampagne im Wirtschaftsmagazin XY geschaltet“ ist obsolet. Informationen werden gezielt gesucht und gefunden. Die Unternehmen halten die Produktionsmittel selbst in den Händen: Ihre Website, ihre Social Media-Kanäle, LinkedIN usw. Die Magazine verdienen ihr Geld nicht mehr durch Anzeigengeschäft, sondern durch exklusiven Content, der kostet, und durch Erweiterung des Angebots, bestes Beispiel dafür ist die ZEIT und ihre Community-Angebote, die das Geschäftsmodell erweitern und am Leben halten. Viele B2B-Unternehmen haben diesen fundamentalen Wandel noch nicht verstanden und konsequent in die Ausgestaltung ihres digitalen Contents umgesetzt. Die Corporate Website ist keine Broschüre.

Der zweite Punkt ist die Interaktion mit den Kunden und die damit verbundene Geschwindigkeit: Jetzt ist now. Informationsvermittlung läuft nicht mehr vermittelt über Werbeplätze, sondern direkt im 1:1. Das erhöht die Anforderung an den Kontakt, bietet aber auch genau den Eintrittsort für performatives Marketing. Und damit für einen strategischen Wertbeitrag.

Szenario 3 ist also: Marketing erneuern. Vor dem Hintergrund der Digitalisierung geht es hier um die Realisierung eines Marketings, das sich als Beziehungs-, Community- und Innovationskatalysator versteht. Die Notwendigkeit zur Zusammenarbeit mit den Kunden direkt ab dem ersten Kontakt sowie die Geschwindigkeit machen eine wasserfallartige Umsetzung der Unternehmensstrategie obsolet. Lösungen werden schneller und direkter entwickelt (werden müssen). Die Anforderungen, aber auch die Chancen für das Marketing verändern sich substanziell.

Ein solches Szenario eignet sich für Unternehmen, die auf Marketing Automation setzen und dabei verstehen, dass Marketing in diesem Fall ein gutes Stück weit auch Business Development und Vertrieb ist. Will das Marketing einen strategischen Wertbeitrag generieren, muss es auch über mehr Qualifikationen verfügen, um auf Augenhöhe mit Kunden agieren und neuartige Lösungen mit den eigenen Softwareingenieuren diskutieren zu können. Wenn Marketing nicht nur Gatekeeper, sondern auch zum Innovationskeeper wird, entfaltet sich die ganze Kraft eines erneuerten Marketings. Hier entsteht ein strategischer Wertbeitrag, weil man über den Kundenkontakt, das Problemverständnis und Lösungsdenken verfügt. In diesem Szenario arbeiten Vertragspartner, Kunden und Mitarbeiter immer direkter und intensiver an einem Lösungspfad miteinander, jenseits bestehender formaler hierarchischer Strukturen. Es kommt darauf an, dass das Marketing zeitnah eine dynamische Vernetzung verschiedener Experten für ein gemeinsames Ziel organisiert, bis hin zur Cooptition, der Zusammenarbeit mit Wettbewerbern. Ein Marketing, das Kundenbeziehungen von Kontakt 1 an so mitgestalten kann, ist nicht am Ende.

* Was soll das mit der Angabe dieser Lesezeiten? Alles was länger als 2 Minuten ist, lese ich nicht? Denken kostet.

Foto von Antenna auf Unsplash

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