Neue Orte und Plätze zu erobern, gehört zum Erwachsenwerden: zum ersten Mal in die Disco, von zu Hause ausziehen, in eine andere Stadt umziehen, in Länder verreisen. Und seitdem wir „Neuland“ betreten haben, gehören auch digitale Räume dazu. Zuerst waren es Internet-Seiten, schon bald Games und dann die sozialen Medien von Facebook bis Instagram. Und neuerdings das Metaverse von Decentraland bis Roblox.
In die Erstellung eines Profils wird viel Zeit investiert und die Frage, was wann wie gepostet wird, beschäftigt nicht nur Unternehmenskommunikatoren, sondern alle Digital Natives. Verstärkt bedarf es auch eines Vehikels, um sich in den neuen digitalen Räumen zu bewegen, so etwas wie eine Mofa, mit der man aufsehenerheischend vor die Disco vorgefahren ist. Das digitale Mofa des Web3 ist der Avatar.
Wie möchte ich aussehen in den neuen digitalen Räumen, die ich betreten möchte? Es ist inzwischen Usus, ein digitales Spiegelbild zu erschaffen, mit dem ich die neuen digitalen Räume erobere. Im Gaming gehört das zur DNA und ist bereits gelernte Enkulturation. Kein Wunder: für GenZ und Millennials ist es laut einer Studie des Bitkoms nicht nur wichtig, einen guten digitalen Eindruck zu machen, sondern sie würden auch Geld ausgeben, um ihr digitales Selbst gut aussehen zu lassen. Im Metaverse haben das Luxusmarken und Fashionbrands erkannt und bieten vom Sneaker bis zur Handtasche alles an, was das Herz begehrt.
Neu im Angebot der digitalen Boutiquen sind Avatare, die durch künstliche Intelligenz erzeugt werden. Man kann Gesichter und Stimmen beliebig kombinieren und zwischen 50 und mehr Sprachen auswählen. Das, was gesprochen werden soll, gibt man über Text ein. Ein Klick und der Avatar erwacht zum Leben und führt zum Beispiel durch die Präsentation oder ein Erklärvideo oder eine interne Fortbildung. Synthesia.io ist ein Anbieter solcher Kommunikationslösungen, die viele Unternehmen bereits einsetzen von Reuters über Nike bis zur BBC. Man kann sich auch abfilmen (lassen) und so einen fotorealistischen Avatar verwenden, und einen eingesprochenen Text uploaden, aus dem die AI dann die eigene Stimme generiert. Es ist noch nicht perfekt, aber die Anbieter arbeiten daran, indem sie immer weitere Mimik hinzufügen, um das uncanny valley zu überbrücken. Man kann leicht erahnen, wohin uns das führt.
Ob mein digitales Spiegelbild echt und authentisch ist, lässt sich von denen leicht erkennen, die mich kennen. Was aber, wenn ich Avatare verwende, die ÜBER mich sprechen? Das wird schwierig als Fake zu erkennen. Die Anbieter schalten die generierten Videos nicht sofort frei, sondern unterziehen sie einer ethischen Prüfung, so zumindest bei synthesia: Es dürfen keine religiösen, politischen, gewaltverherrlichenden oder Sex-Szenen enthalten sein. Bei einem anderen Anbieter musste ich nur ein Foto hochladen und hatte das generierte Video sofort zur Verfügung, ohne sichtbare Überprüfung. Da die Plattform-Lösung als solche steht, befürchte ich, dass es im Preiskampf der Anbieter hier zu Unterbietungen kommen wird.
War es bis vor kurzem noch so, dass Prominente beliebtes Ziel von Deep Fakes wurden, wird es in nächster Zeit uns selbst treffen. Klar: In der internen Kommunikation kann ich das mitkommunizieren, dass das ein digitaler Avatar unseres Vertriebsvorstands ist und aus Zeitgründen so erstellt und in verschiedene Sprachen gebracht wurde, um international alle abzuholen. Wenn das die Unternehmenskommunikation adäquat verpackt und versendet, dann kann das möglicherweise funktionieren und Zeit und Kosten sparen.
Aber was, wenn andere unser Aussehen verwenden ohne dass wir zugestimmt haben? Das gängige popkulturelle Narrativ ist, dass AI „erwacht“ und sich gegen Menschen oder die Menschheit wendet. Für wesentlich wahrscheinlicher halte ich die Variante, dass AI als Werkzeug in den Händen nicht wohlwollender Menschen Schaden anrichten wird. Bis dahin ist es nicht mehr weit. Identity-Management hat eine prosperierende Zukunft.
Um ein Beispiel zu geben habe ich folgendes Fake-Video erstellt: Fake sind die ausgewählten Avatare und Firmennamen, das, was über mich und meine Arbeit gesagt wird, könnte so als Referenz dem entsprechen, was ja auch gerne bei manchen Filmen zu Beginn gezeigt wird: …nach wahren Begebenheiten. Und es ist wie immer: relativhammer!